Pater Klaus Mertes sprach bei der Festmatinée zum 60-jährigen Bestehen der CEB über den Bildungsbegriff

HILBRINGEN Bildung, ist sie immer noch wertvoll? Was hat Bildung mit Würde zu tun und wie unterscheidet sie sich von der Ausbildung? Diesen Fragen ist Pater Klaus Mertes bei der Festmatinée zum 60-jährigen Bestehen der Christlichen Erwachsenenbildung in Hilbringen nachgegangen. Der Kollegsdirektor am internationalen Jesuitenkolleg in St. Blasien ist der Neffe des Gründungsvorsitzenden der CEB und damaligen Pfarrers von St. Josef in Merzig, Johannes Mertes. In der CEB Akademie sprach er vor 160 Gästen über seinen Begriff von Bildung und seine Erfahrungen als Pädagoge.

Die Arbeit der Christlichen Erwachsenenbildung, die am 23. Oktober 1959 als Katholisches Volksbildungswerk für den Kreis Merzig-Wadern gegründet wurde, stützt sich auf die Pfeiler Bildung und Soziales, betonte der CEB-Vorsitzende Gisbert Eisenbarth. 1959 fanden sich engagierte Christinnen und Christen in Merzig ein, um ein Bildungswerk aus der Taufe zu heben. „Bei der Gründung hatte sich vermutlich niemand ausmalen können, dass aus der Initiative einmal eine Einrichtung mit 100 Mitarbeitern, einer Zentrale mit Akademiegebäude, Schulungsräumen, Lehrwerkstätten, Sozialbetrieben und jährlich 50.000 Schulungsteilnehmern und Besuchern werden könnte. Und dass der Aktionsradius über den Kreis Merzig-Wadern hinaus sogar bis in die Bischofsstadt Trier wachsen würde“, sagte Eisenbarth. In den vergangenen Jahrzehnten habe die CEB auf gesellschaftliche Anforderungen reagiert, neue Ideen umgesetzt und zusätzliche Aufgaben im Bildungs- und Sozialbereich übernommen. „Die CEB von heute versteht sich als weltoffene, tolerante Einrichtung.“

Eisenbarth freue sich, mit Pater Klaus Mertes einen „mutigen Menschen“ als Festredner begrüßen zu dürfen, „klar in der Analyse und konsequent im Handeln, orientiert an der christlichen Botschaft – ein Kirchenmann, der seine Stimme erhebt, wenn es ihm notwendig erscheint.“ Für das Aufdecken und Aufarbeiten sexualisierter Gewalt in der katholischen Kirche Deutschlands hat er die Ehrendoktorwürde der Universität Freiburg erhalten. Anfang des Jahres forderte er mit weiteren namhaften Theologen einen Umbruch in der katholischen Kirche, etwa mit Blick auf die Demokratisierung, das Zölibat und Frauen in Weiheämtern. Mertes zeigte sich erfreut, bei der CEB die „großen Früchte des kleinen Anfangs sehen zu dürfen, zu denen mein Patenonkel Johannes Mertes beigetragen hat“.

Seinen Vortrag begann Mertes mit Georg Elser. Der Schreiner versuchte im November 1939 die NS-Führung durch ein Bomben-Attentat auszuschalten. Der Versuch scheiterte. Elser wurde festgenommen und nach mehrjähriger Einzelhaft am 9. April 1945 im KZ Dachau ermordet. Die Nazis hielten ihn so lange fest, weil sie sich nicht vorstellen konnten, dass Elser als „ungebildeter“ Arbeiter auf eigene Faust gehandelt habe. Sie hielten ihn für eine Marionette ausländischer Geheimdienste und suchten Drahtzieher, die es nicht gab. Noch im Jahr 1999 war in seriösen, wissenschaftlichen Kreisen zu hören, dass Elser mit seiner Tat seine politische Beurteilungskompetenz überschritten habe. „Die Frage ist, was für ein Begriff von Bildung hinter diesem Beispiel steckt, wenn man so urteilt“, sagte Mertes. So viele sogenannte gebildete Menschen seien den Schalmeientönen der Nazis auf den Leim gegangen. „Die ganze Bildung, die sie genossen haben, hat überhaupt nichts genutzt.“ Daher sei der Bildungsbegriff noch einmal und grundsätzlich zu überdenken.

Bildung begreift Pater Mertes zuerst einmal als einen Dienst an der Würde der Menschen, insbesondere der Würde der Kinder und Jugendlichen. Bildung bedeute, jungen Menschen ihre Würde erfahrbar zu machen. „Das fängt schon damit an, wie ich mit disziplinarischen Fragestellungen umgehe. Gibt es auch für Schüler Unschuldsvermutungen? Sind die Verfahren transparent? Sind die Noten gerecht? Sehe ich den Menschen in seiner ganzen Würde, in seiner ganzen sozialen Qualität, oder nur in Bezug auf das, was er in der Schule zu leisten hat?“ Dabei gelte es auch, Schüler gegen die Tendenzen der eigenen Selbstentwürdigung angesichts des sozialen Drucks, des Gruppenzwangs und der Anpassung, zu wappnen. „Die Konkurrenz um den schönsten Körper, um die größte Beliebtheit und natürlich den dicksten Geldbeutel – der Eltern.“ Es stelle sich schnell heraus, so Mertes, dass die Schüler eher „ethische Egoisten“ sind. Im Sinne des Philosophen Thomas Hobbes begründen sie ethische Normen über das eigene Interesse: Wenn alle ihren eigenen Interessen folgen, sei am Ende allen gedient. Der Grundsatz der Goldenen Regel – behandle andere so, wie du von ihnen behandelt werden willst – begründe sich aber in Empathie. Anderen den Anspruch zuzugestehen, anständig behandelt zu werden, bedeute, sich in sie einzufühlen. Daher sei es so wichtig, jungen Menschen Empathie beizubringen. „Wert, sofern er auf Würde bezogen ist, ist entscheidender Bestandteil eines Bildungsbegriffs, der sich so nennen darf“, fasste Pater Mertes zusammen.

Die Unterscheidung zwischen Bildung und Ausbildung nannte Mertes als zweiten Punkt. „Man kann Menschen ausbilden, aber man kann Menschen nicht bilden.“ Er zitierte den Philosophen Peter Bieri: „Eine Ausbildung durchlaufen wir mit dem Ziel, etwas zu können. Wenn wir uns dagegen bilden, arbeiten wir daran, etwas zu werden – wir streben danach, auf eine bestimmte Art und Weise in der Welt zu sein.“ Bildung und Ausbildung stünden sich nicht grundsätzlich gegenüber, sondern in jedem Bildungsprozess gehe es auch um ein methodisches Üben mit dem Ziel, eine Kompetenz zu erwerben. „Jeder Bildungsvorgang hat einen Ausbildungsaspekt.“ Pater Mertes erzählte von einem ehemaligen Kollegs-Schüler aus keinen Verhältnissen, der erfolgreicher Unternehmer wurde. Mit 65 Jahren schwer erkrankt, dachte er darüber nach, was in seiner Schulzeit ihm diesen Erfolg ermöglich habe, und schrieb einen Brief. „Das wichtigste für seinen beruflichen Erfolg war das Schulorchester. Dort hatte er gelernt zuzuhören, sich einzuordnen, sorgfältig zu sein, Qualitätskriterien zu entwickeln, öffentlich aufzutreten und vieles mehr. Der Brief war eine Hymne an die erzieherische Bedeutung des gemeinsamen Musizierens, eine Hymne an den Nutzen des Nutzlosen.“ Gleich um welchen Bereich, welches Fach es gehe, bei aller Arbeit sei die Muße das eigentliche Wesen der Schule. „Es gibt nichts, was mehr begeistert, als ein begeisterter Lehrer – und zwar begeistert für sein Fach.“

Die Verbindung von Schule und Zwang griff Mertes als dritten Punkt auf. Schüler seien nicht freiwillig in der Schule, sondern aufgrund der Schulpflicht. „Daraus folgt, dass in der Gestaltung von Schule immer auch Disziplin und Struktur mitzudenken sind.“ Es gehe aber auch um eigene Erkenntnisse, nicht nur um Dinge, von denen Schule, Eltern und Gesellschaft wollen, dass Schüler sie erkennen. „Selbst wenn das, was ich erkenne, mit traditionellen, familiären oder gesellschaftlichen Erkenntniserwartungen übereinstimmt, ist es ein Unterschied, ob ich es selbst erkenne, oder bloß übernehme.“ Die grundlegende Investition von Eltern und Schule in den Bildungsprozess von Jugendlichen sei, ihnen Vertrauen zu schenken, ihnen zuzutrauen, dass sie etwas selbst erkennen können. Seit mehr als 20 Jahre stehe das Kolleg in St. Blasien im Austausch mit zwei chinesischen Schulen, deren Schüler das deutschsprachige Abitur ablegen. Die größte Herausforderung für diese Schüler sei nicht die Sprache, sondern die andere Kultur, auch die andere Lernkultur, ohne jenen Drill. Mertes erzählte von einer jungen Chinesin, die ihn einmal schüchtern gefragt habe, warum die Chinesen Deutschland immer loben, aber die Deutschen China immer kritisieren. „Bingo! Das war vielleicht das erste Mal in ihrem Leben, dass sie einen Lehrer etwas gefragt hat, was sie wirklich wissen will!“ Bildung führe Menschen dazu, die Warum-Frage zu stellen. Vorgegebene Inhalte und Zwecke werden in Frage gestellt. Warum soll ich etwas lernen? Warum ist etwas erstrebenswert? „ Die allgemeine Schulpflicht wurde nicht eingeführt, um junge Menschen zu unterwerfen, sondern um sie aus Situationen der Unfreiheit herauszuführen, in der sie ohne Bildung stecken bleiben würden.“

Als Kollegsdirektor habe Mertes erfahren, dass die Entscheidungen in der Schulverwaltung sich zunehmend von dem lösen, was die Nöte und Fragen im Schulalltag sind. Um das zu ändern müssten die Bildungsplaner erkennen, dass Bildungsprozesse in der direkten Begegnung zwischen Lehrenden und Lernenden und den Leitungen der Institutionen stattfinden. „Diese brauchen vor allem Vertrauen, um arbeiten zu können, Autonomie in einem geregelten Rahmen.“ Dies sei bei einer Bildungseinrichtung wie der CEB eher möglich als in einer Schule, weswegen solche zusätzlichen Institutionen einen wichtigen Beitrag zu den gesellschaftlichen Bildungsprozessen leisteten. „Bildung braucht Vertrauen. Ohne Vertrauen funktioniert Bildung nicht.“